Das hier ist ewig - Tag 6
choriosity
"Ich warte seit Wochen
Auf diesen Tag
Und tanz' vor Freude, über den Asphalt
Als wär's ein Rhythmus
Als gäb's ein Lied
Dass mich immer weiter, durch die Straßen zieht..."
Schon bereits beim Aufwachen hat man gemerkt: Irgendetwas fühlt sich anders an…das geschäftige Treiben in den Appartements bereits ab 6.30 Uhr, die schicken Klamotten wurden gerichtet, die Glätteisen hervor geholt. Der große Tag war also gekommen, auf den alle hingefiebert haben. Man fühlte sich so ambivalent - einerseits voller Vorfreude auf den Auftritt in der Carnegie Hall, andererseits warf bereits jetzt ein Hauch Traurigkeit ihre Schatten voraus: Bald würde alles vorbei sein.
Doch eines vorab: Ich persönlich kenne Choriosity seit 2015. Als jedoch der liebe Gott schöne Stimmen verteilt hatte, war ich leider nicht dabei. Nun ja, sei's wie's will, der Fisch soll nicht auf Bäume klettern wollen: Ich habe andere Talente. Es war dennoch sozusagen Liebe auf den ersten Ton. Seitdem bin ich voller Dankbarkeit und Stolz, zumindest im Bereich der Medien mit Rat und Tat an dem Abenteuer „Choriosity“ teilhaben zu dürfen.
Denn ja, es ist ein Abenteuer zu erleben wie alle Stimmen ihren Platz in einem komplexen Gebilde finden, wie Monty leitet und begleitet - um am Ende stolz sagen zu können: Das war mein Chor. Ich habe euch gehört, auch unter hunderten von anderen Stimmen. Niemand hätte genau dieses Arrangement auf dieselbe Art und Weise singen können. Ihr seid einzigartig.
Der Tag also, an dem etwas endet und etwas Neues beginnt.
Gespannt reisten wir frühmorgens zur Generalprobe und warteten auf den Einsatz - unter strenger Aufsicht des Carnegie Hall-Personals. Sicherheit geht vor, Respekt vor den berühmten Hallen ist unerlässlich. Nachdem alle Chöre den kompletten Auftritt ein letztes Mal durchgeprobt haben, lag zunächst noch etwas Unsicherheit in der Luft: Wurden denn alle Töne perfekt getroffen? Konnten die einzelnen Gruppen der Gesamtkomposition eine persönliche Note verleihen und waren die Solisten nicht ein wenig zu präsent? Deke Sharons Komplimente jedoch vertrieben jegliche Sorgen und steigerten die Vorfreude umso mehr. Die "Sold Out"-Aufkleber auf den Veranstaltungsplakaten kündigten einen vollen Saal an. So manch einer lief nervös umher und übte diese oder jene Stelle zum wiederholten Mal: Auf einmal lag alles so greifbar vor uns. Bald soweit.
"An Tagen wie diese
Wünscht man sich Unendlichkeit
An Tagen wie diese
Haben wir noch ewig Zeit
Wünsch' ich mir Unendlichkeit"
In der Pause tat die Sonne gut und wärmte nach den kalten Hallen.
Viel zu schnell – oder doch viel zu langsam? – verging die Zeit bis zum Auftritt. Und dann stand Choriosity dort oben, inmitten anderer Sängerinnen und Sänger – und doch so in sich geschlossen und präsent. Begeisterte Stimmen ließen die Carnegie Hall erklingen, das Lächeln auf den Gesichtern war spürbar. Ja, das war "mein Chor", ich habe euch gehört.
Dann die erste Stunde "danach"....Erleichterung, Traurigkeit, Erschöpfung, Euphorie, eine bunte Mischung aus alledem. Benommen von den überwältigenden Emotionen lief man zum anschließenden Empfang. Die Stimmung lockerte sich dort jedoch schon recht bald. Man tauschte Handynummern, fand neue Freunde. Das Leben nach Carnegie ging weiter.
Dann kam die Welle
Auf einmal verwandelte sich der ganze Raum: Die Tischordnung über den Haufen werfend stand jedermann auf, jubelte dem jeweils anderen Chor zu und ermunterte ihn, zu singen.
Es war das größte Geschenk, das man sich gegenseitig geben konnte: Noch ein Song mehr, ein kleines Stück von der eigenen Seele. Ob Alaska, Mexiko, oder Deutschland – jeder singt auf seiner eigenen Weise, doch alle im Bankettsaal wollten in diesem Augenblick dasselbe. Noch ein paar Minuten länger zusammen verbringen und erleben, was uns alle miteinander verbindet – nämlich die Musik.
Und während ich da stand – mitten in diesem Saal in Manhattan – die Gewalt der Stimmen über mich hereinbrechend wie eine große, übermächtige Welle, waren wir wirklich und tatsächlich für einen Augenblick miteinander verbunden.
Oder sogar mehr…
Wir waren eins.
Eure
Anna